Kommunikation: Siegeszug des Unverbindlichen

Es gibt Wörter, die verbürgen sich gleichsam für sich selber - wie die Edelmarken von Lacoste und Lagerfeld, von Boss und Bogner. Sie befördern keine Informationen und Argumente, sondern Gefühle des Wiedererkennens und Stimmungen des Stimmigen. Ein solches zum semantischen Plausibilitätsgaranten seiner selbst aufgestiegenes Wort ist die Kommunikation. Zweifel an ihrem Wert und Sinn diskreditieren allemal zuerst den Zweifler. Verdanken wir ihr doch unsere gesamte Identität - jedenfalls das, was nach dem Tod Gottes und dem Niedergang der Nation, nach dem Verlust der Heimat und dem Verstummen der Herkunft noch übrig ist.

Der Siegeszug der Kommunikation ist der Siegeszug des Unverbindlichen: Man spricht nicht mehr miteinander über etwas - man kommuniziert. Das gute alte Gespräch lebte von der Gemeinsamkeit des - wenn auch umstrittenen - Gegenstandes: die Kommunikation kennt nur noch die Gemeinsamkeit des Mediums. Ihr Ziel ist nicht, jemanden zu überzeugen, sich mitjemandem in einem strittigen Punkt zu verständigen - ihr Ziel ist der Kontakt als solcher. Die Themen sind bloßer Gesprächsstoff, der es ermöglicht, in Verbindung zu treten und in Verbindung zu bleiben. Sinn und Zweck von Kommunikation ist Kommunikation. Kommunikation ist die Verbindung über Unverbindliches zwischen Unverbundenen; die Entschlossenheit, sich nur medial auszutauschen, keinesfalls aber in rebus mit sich sprechen zu lassen.

Communico, ergo sum! Klingt das nicht unvergleichlich sympathischer als die egozentrische Selbstversicherungsformel Descartes, des Ahnvaters an der Schwelle zur Moderne, der uns barsch auf den eigenen Denkakt verweist: Cogito, ergo sum - ich denke, also bin ich ?

Kommunikation - das ist Human Touch auf High-Tech-Niveau. Hören wir bei der »Kommunikation« und bei den ihr zugehörigen »Technologien« nicht förmlich jenes Credo des erdumspannend-völkerverbindenden Come together, mit welchem die zur Menschheit gereifte Konsumgemeinde endgültig die exotischen Duftmarken der »großen weiten Welt« hinter sich läßt! Wenn Kommunikation a&es ist und alles Kommunikation, dann ist es gleichgültig, wer mit wem worüber kommuniziert. Und so bekommen wir auch den Diskurs, der uns zukommt: War Hannibal ein Elephant? Gegen die Seriosität dieser Frage spricht schließlich auch nicht mehr als gegen jene der berühmten Streitfrage spätscholastischer Angelologen, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz fänden. Da fällt es dann auch gar nicht weiter auf, wenn die Branche der gutbezahlten, managementnahen kommunikativen Muntermacher alle des- wie disparaten Probleme dieser Welt, Perlen gleich, auf die Schnur ihrer wohlfeilen Allerweltsweisheiten reiht. Nichtzusammengehöriges rückt in dichteste Nachbarschaft; am Ende reimt sich umstandslos Erfolg auf Charakter, Management auf Kultur, Marketing auf Ethik, Kreativität auf Sinn und Kunst auf Design.

Kommunikation ist Sprechen pur - das Gespräch um des Gesprächs willen; das Gespräch ohne den Gestus der Überzeugung; Gespräch, welches auf dem geräuschstarken Klangteppich eines wortprunkenden Desinteresses über Probleme und Schicksale hinwegschreitet. Als »Kommunikation« wird, wenn andere zuhören, im günstigsten Fall Talk-Show, die auch noch im forcierten Engagement der sprachlichen Diktion alles im Unverbindlichen beläßt. Hier zeigt sich die »Kommunikation« als angemessene Form des sozialen Umgangs in einer Gesellschaft, die beim allermeisten dessen, was sie tut, nur so tut, als ob.


Aus: Bernd Guggenberger: Das digitale Nirwana. Rotbuch Verlag, 1997. ISBN 3-88022-508-7