4. Krisen durch Computer und Software

Krisen in Computersystemen können jederzeit auftreten. Was aber riskieren wir, wenn ein Fehler auftritt? Unseren guten Ruf? Ein finanzielles Desaster? Den Verlust der Demokratie? Tod?
Computersysteme helfen uns nicht in allen Fällen weiter. Jeder hat schon mal mehr oder minder bittere Erfahrungen mit Computerausfällen gemacht. Nachfolgende Beispiele zeigen Krisen größerer Art, welche durch verschiedene Probleme in Computersystemen zurückgehen (Softwarefehler, Komplexität, zu starke Vereinfachung, falsche Modellbildung):

4.1 Apollo 11 11)

Apollo 11 war für die damalige Zeit ein sehr softwareintensives Unternehmen. Um die Software auf dem Bordcomputer zu testen, fügten Programmierer zusätzlichen Programmcode ein, den sie Alarme nannten. Sie sollten bestimmen helfen, was im Computer vorgeht, wenn sich ihre Programme falsch verhielten.
Der Bordcomputer hatte verschiedene Funktionen. Primär sollte er das Aufsetzen der Landungsfähre auf dem Mond unterstützen. Er sollte aber auch das Andocken an das Hauptmodul in der Mondumlaufbahn nach Verlassen der Mondoberfläche erleichtern. Natürlich wurden diese beiden Funktionen nicht gleichzeitig benötigt. Deshalb wurde entschieden, die Radardaten nicht an die Rendezvoussoftware weiterzugeben. So sollte die Überwachung des Hauptmoduls während des Sinkfluges verhindert werden.
Computer wissen jedoch nicht, daß es keinen Winkel gibt, für den Sinus und Cosinus gleichzeitig Null sind. Als sich die Landefähre der Mondoberfläche nährte, stand der Computer vor der unlösbaren Aufgabe, das Hauptmodul aufgrund mathematisch unmöglicher Daten zu verfolgen und gleichzeitig die Fähre zu landen. Die simultane Durchführung dieser Aufgaben erforderte mehr als die verfügbare Rechenleistung. So mußte der Controller aufgrund von verwirrenden Computerdaten über den Abbruch der Mission entscheiden. Er hatte 19 Sekunden Zeit, bevor er sich für die Fortsetzung entschied. Dann trat ein neuer Alarm auf und er mußte die Entscheidung erneut fällen.
Letztendlich glückte die Landung, aber die Sicherheitsreserven waren völlig erschöpft.

4.2 Das finanzielle Desaster 12)

Am 20. Nov. 1985 kostete ein Softwarefehler die Bank of New York fünf Mio. Dollar. Die Software zur Überwachung von Kreditsicherungstransaktionen durch die Zentralbank überschrieb plötzlich alte Informationen mit neuen. Der Fehler trat im Speicher des Computers auf. Es war etwa so, als würde jede neue Transaktion in einer endlosen Liste niedergeschrieben, ohne aber jemals eine neue Zeile zu beginnen. Die Zentralbank kreditierte die Bank für jede Transaktion, die Bank of New York wußte aber nicht mehr, wer ihr wieviel Geld und mit welchen Sicherheiten schuldete. Nach 90 Minuten konnte der Strom eingehender Transaktionen endlich gestoppt werden. Zu dieser Zeit schuldete die Bank of New York der Zentralbank 32 Mrd. Dollar, deren Verbleib nicht ermittelbar war.
Unter Einsatz aller vorhandenen Aktiva als Sicherheiten konnte sich die Bank of N.Y. über Nacht das Geld von der Zentralbank leihen. Am Tag darauf konnten die Datenbanken wiederhergestellt werden. Jedoch waren Zinsen in Höhe von 5 Mio. Dollar fällig. Eine weitere Auswirkung bestand darin, daß eine unbekannte Anzahl ökonometrischer Modelle einen Tag lang falsche Daten erhielten und auf Grundlage dieser Daten Entscheidungen gefällt wurden.

4.3 General Motors 13)

In den frühen achtziger Jahren begann GM, gigantische Summen in die Automatisierung ihrer Produktion zu investieren. Das neue Hamtramck-Werk in Detroit besaß 50 selbstlenkende Fahrzeuge, um Teile in der Fabrik zu transportieren, sowie 260 Roboter zu Schweißen und Lackieren: "...auch ein Jahr nach der Inbetriebnahme war die Hochtechnologie so unzuverlässig, daß nur die Hälfte der geplanten 60 Autos pro Stunde produziert wurden... Die verschiedenen Fertigungsstraßen mußten für Stunden stillgelegt werden, während die Techniker versuchten, die Fehler aus der Software zu entfernen. In dieser Zeit machten sich die Roboter häufig selbständig, zerstörten Autos, sprühten Lack überall hin oder benutzten sogar das falsche Werkzeug."

 

© Matthias Marzinko 1997


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Literaturverzeichnis