Next: Arbeitspapier für die Up: Statements Previous: Arbeitspapier für die

Arbeitspapier für die Gesprächsrunde von Prof. Dr. Herbert Pietschmann

Die Naturwissenschaft und ihre Methode beruhen auf den Axiomen der Logik (Eindeutigkeit, Widerspruchsfreiheit, kausale Begründbarkeit) und des Experimentes (Reproduzierbarkeit, Quantifikation, Analyse).

Damit sind einerseits allgemeine Gesetze (Naturgesetze) durch Ausschluß falscher Ansätze aufzufinden, andererseits kann durch eine Deduktion von diesen Gesetzen auf Einzelfälle zwingend geschlossen werden.

Diese 6 Forderungen stellen den abendländischen ,,Denkrahmen`` dar. Er erlaubt, die Materie in Raum und Zeit in all ihrer Vielfalt immer besser, vielleicht sogar einmal vollständig zu beschreiben.

Der Denkrahmen schließt jedoch alles aus, was nicht Materie ist. Insbesondere daher alle geistig-seelischen Phänomene. Da alles in dieser Welt (außer Gott) immer auch materielle Aspekte hat - es gibt eine körperlose Seele - ist es möglich, wenn auch nicht immer vernünftig, ein Gesamtphänomen auf seinen Materie-Anteil zu reduzieren (z.B. seelische Krankheiten als Störungen des Gehirns zu definieren). Damit können wir es mittels der Naturwissenschaft ,,ganz`` erfassen.

Es scheint mir, daß wir heute an jenem Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte stehen, an dem die Nachteile dieser Reduktion die Vorteile zu übertreffen beginnen. Es wäre nun völlig falsch, damit die Naturwissenschaft oder ihre Methode einzuschränken oder gar aufgeben zu wollen. Was Not tut, ist erstens eine Einsicht in die durch den Denkrahmen geschaffene Grenze, zweitens die Anerkennung des vom Denkrahmen Ausgeklammerten (also nicht-materielle Phänomene) und letztlich eine Ergänzung der naturwissenschaftlichen Methode durch Neues und ein Umgehen-Lernen mit mehr als einem einzigen Denkrahmen. Gerade die Medizin scheint ein gutes Feld zu sein, um diese Pionierarbeit zu leisten, die Früchte tragen kann auch für andere Gebiete wie etwa das Bildungswesen.


werner@ccsr.uiuc.edu
Wed Sep 21 08:46:15 CDT 1994