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Arbeitspapier für die Gesprächsrunde von Prof. Dr. med. Dres h.c. L. Demling

Die moderne Medizin steht auf dem Fundament der Naturwissenschaften. Diese ermöglichen ein Vordringen unserer Kenntnisse in immer kleinere Dimensionen und in immer komplexere Zusammenhänge. So relativiert die Genforschung die Grenzen von Unbelebtem zu Belebtem und verwischt auch den einst für so fundamental gehaltenen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Die Chaosforschung hat uns mit der Tatsache vertraut gemacht, daß geordnete Systeme, in denen nach menschlichem Verständnis Ursache und Wirkung in einem angemessenen Verhältnis stehen, in unserem Universum selten sind. Die Nichtlinearität herrscht vor. Winzige Ursachen können nicht vorhersagbare Ereignisse, so auch Katastrophen, auslösen.

Konsequenzen für die Medizin:

1. Der menschliche Organismus ist ein chaotisches System mäßiger Mächtigkeit, das nur bei oberflächlicher Betrachtung geordnet erscheint.

2. Exakte Prognosen über Krankheitsverläufe oder Folgen ärztlicher Eingriffe sind ebensowenig möglich, wie eine längerfristige Wettervorhersage. Wie diese, birgt auch die dem Einverständnis vorausgehende Patientenaufklärung, ohne die ärztliche Eingriffe aus juristischer Sicht Körperverletzungen sind, notwendige Unsicherheiten.

3. Die derzeitig geforderte Aufklärungspflicht ist eine wirklichkeitsfremde Fiktion. Sie nützt dem Patienten nicht, behindert die ärztliche Tätigkeit und trägt über den Weg der defensiven Medizin zur Kostensteigerung bei.

4. Die Chaosforschung macht Warnsymptome sichtbar, welche das Umkippen eines (relativ) geordneten Zustandes in eine unübersichtliche Dynamik ankündigen. Umgekehrt bekommt man Kontrollparameter in die Hand, welche z.B. beim Herzrhythmus Rückführen chaotischer in geordnete Zustände möglich macht.

5. Die Erkenntnis, daß winzige Ursachen große Auswirkungen haben können, fordert zu einer neuen Betrachtung auch der Homöopathie heraus.

6. Die in den letzten Jahrzehnten in Mode gekommenen Studien sind nützlich. Ihr Anspruch auf Alleingültigkeit jedoch verfehlt. Es wird übersehen, daß das Probanden- oder Patientenkollektiv schon von der genetischen Ausstattung her nicht einheitlich ist. Ein Präparat, welches bei 100 Patienten angewendet, nur in 20 Fällen - da aber sehr gut - hilft, wird als Placebo abgetan. Der Fallbeobachtung sollte wieder mehr Gewicht beigemessen werden.

7. Die Probleme der Medizin werden am einzelnen Patienten sichtbar und die angebotenen Lösungen haben sich an ihm zu bewähren.



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werner@ccsr.uiuc.edu
Wed Sep 21 08:46:15 CDT 1994